Die klassische Betriebswirtschaftslehre lehrt das Betrachten der Welt in Kausalzusammenhängen. Jedes Ereignis stößt ein Folgeereignis an. Somit gibt es für alles eindeutige auslösende Ereignisse. Auf A folgt B. Natürlich kann A auch B und C auslösen und E wiederum von C und D angestoßen worden sein, aber stets ergibt sich eine klare Verkettung von Ereignissen, die die Ereignisse der Welt auslösen. Und wenn die Ereignisse derart miteinander verknüpft sind, dann kann man sie auch messen und kontrollieren und – das ist das wichtigste – vorhersagen. In dieser linearen Betrachtungsweise der Welt, ist die Zukunft nämlich nur eine Variante der Vergangenheit. Die linearen Dampfmaschinen-Systeme folgen einer inneren Kausalität, die sich beobachten, beschreiben und vorhersagen lässt und die sie vermeintlich so sicher macht.

Natürlich geht mal ein Ventil kaputt, aber die Haltbarkeit der Ventile lässt sich messen, also lässt sich damit eine statistische Risikoermittlung für das Brechen eines Ventils berechnen. Das ist zwar kompliziert, aber vollkommen linear und damit gut möglich und machbar. Es geht um Risikobewertung. Wann muss mich das Ventil erneuern? Es soll möglichst lange in Betrieb sein und gewechselt werden kurz bevor es kaputt ginge. Eine Risikobewertung betrachtet die Auswirkungen alternativer Handlungsoptionen, deren mögliche Folgen und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten. Je mehr Daten ich sammle und je detaillierter ich den Case gestalte, umso genauer kann ich die Erfolgsaussichten einer Unternehmung abschätzen. Wenn ich Ergebnisse einer Handlung mit den alternativen Szenarien abgleiche, kann ich kontinuierlich überprüfen, ob ich mich auf dem richtigen Weg befinde. Risikobewertung und Risikoanalyse sind in vielen Branchen eine eigene Profession und werden häufig mit komplizierten statistischen Vorhersagemodellen unterlegt. Also kann doch mit einem ausgefeilten Risiko Management nichts schief gehen, oder?

Naja, diese Art der Betrachtung geht davon aus, dass sich die Zukunft im Grunde wie die Vergangenheit verhält, also deren Fortschreibung ist. Es gelten also alle Einflussfaktoren als bekannt und mit entsprechenden Auswirkungen belegt. Risikomanagement betrachtet ausschließlich bekannte Risiken, deren Wahrscheinlichkeiten sich empirisch messen lassen – und da liegt das Risiko.

Risiken, deren Wahrscheinlichkeiten sich nicht messen lassen, weil sie zum Beispiel noch nie aufgetreten sind und deshalb einfach nicht bedacht werden, sind gar keine Risiken, sondern Ungewissheiten. Wo treten Ungewissheiten auf? In komplexen Systemen. Was ist ein komplexes System? Ein System, dass keine eindeutigen Ursache-Wirkungszusammenhänge erkennen lässt, weil es zu stetigen Interferenzen kommt. Ein Teller Spaghetti ist ein komplexes System. Wir können durch reines Beobachten keinerlei Vorhersagen darüber treffen, was passieren wird, wenn wir an einer bestimmten Nudel ziehen. Und wenn wir es ausprobieren, können wir das Experiment nicht wiederholen, weil es das System so verändert hat, dass das nächste Mal ein vollkommen anderes Ergebnis heraus kommt. Wir können das System schlicht nicht vorhersagen. Wirtschaft, Gesellschaft, Bildungswesen und Politik sind komplexe Systeme – unsere Welt, und das wird häufig falsch verstanden, ist keine Welt erhöhten Risikos, der mit Risikomanagement, Risikoanalysten und Risikoregistern beizukommen wäre. Unsere Welt ist eine Welt erhöhter Ungewissheit, in der es keine eindeutigen Zusammenhänge und Kausalketten gibt. Ein Ereignis gut raten – das mag ja noch funktionieren – aber Wirkzusammenhänge prognostizieren – also die Zukunft voraussagen – scheitert kläglich.

„Entscheiden unter Risiko bedeutet, die Abweichung vom Plan zu überwachen und Maßnahmen zu ergreifen, die die Abweichungen minimieren und kompensieren. Entscheiden unter Ungewissheit bedeutet, den Plan selbst zu überwachen und Maßnahmen zu ergreifen, die den Plan an die Realität anpassen. Plangetriebenes Arbeiten ignoriert die Fakten, die die Einhaltung des Plans unmöglich machen, weil die Einhaltung des Plans selbst das Ziel ist.“

Auszug aus: Andreas Rein. „Steampunk Ökonomie.“ Tredition Verlag, 2021.